Die ungleichen Brüder – Die Türkei und der Iran im Atomstreit

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Das Verhältnis vom Iran und der USA steht immer noch unter Spannung. Doch auch die angrenzenden Nachbarländer sind von dem Konflikt betroffen: Die Türkei und der Iran pflegen eine ambivalente Beziehung, haben sich durch den Atomkonflikt allerdings angenähert. In diesem Artikel wird die türkische Sicht auf den Konflikt erörtert.

Menschen in Ankara

Wochen lang irrte die Adrian Darya 1 durch das Mittelmeer. Als Teil ihres Sanktionsregimes gegen den Iran hatten die USA versucht den iranischen Tanker in Gibraltar festzusetzen. Das Schiff hatte einen Hafen gesucht, um das geladene Öl abzuladen. Im Gespräch war dabei auch der südtürkische Hafen von Mersin. Die Türkei, mit einem großen Energiehunger gesegnet, ist auf billige Importe von Öl und Gas angewiesen. Seit 2002 hat sie mit 5.5 Prozent Wachstum pro Jahr unter allen OECD-Staaten den schnellst wachsenden Strombedarf. Der Iran ist einer ihrer Hauptlieferanten, 2017 kamen 44.6 Prozent der türkischen Erdöl- und 17 Prozent der Erdgasimporte aus dem Iran. Die Türkei hält daran fest, sich nicht an die neuen Iran-Sanktionen gebunden zu fühlen. Neue Spannungen mit den USA sind angesichts der US-amerikanischen Iran-Politik daher vorprogrammiert.

In der Not vereint

Die Türkei und der Iran pflegen traditionell eine seltsame Beziehung. Diese zeichnet sich einerseits durch Rivalität um die Vorherrschaft in der Region aus, andererseits ist sie von der Notwendigkeit der nachbarschaftlichen Zusammenarbeit geprägt. Obwohl dieses ambivalente Verhältnis schon in die frühen Phasen der osmanisch-safawidischen Konkurrenz zurückreicht, hat die aktuelle politische Lage um den Atomstreit diesem eine neue Wendung verliehen. Beinahe brüderlich sehen sich beide Länder aktuell mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Sie teilen die wirtschaftlichen Einbußen durch die amerikanischen Sanktionen, liegen beide im Streit mit Saudi-Arabien und versuchen zugleich, die Konsolidierung der PKK in Syrien zu verhindern. Allerdings ist die Art, wie sich diese Schwierigkeiten auswirken sehr unterschiedlich gelagert.

Die türkische Wirtschaft, die sich aktuell in einer Rezession befindet, ist von Rohstofflieferungen aus Russland, dem Irak und dem Iran abhängig. Mit dem Verfall der türkischen Lira geht für türkische Unternehmen das Problem einher, dass Öl und Gas, die traditionell in US-Dollar gehandelt werden, für die Türkei erheblich teurer geworden sind. Die Privatverschuldung der Unternehmen ist damit stark gestiegen. Zwar hatten die USA der Türkei anfangs noch eine Ausnahmegenehmigung erteilt, um weiterhin iranisches Öl zu importieren, um eine Verlängerung dieser Genehmigung hatte sich Ankara jedoch vergeblich bemüht. Eigene Öl- und Gasvorkommen gibt es in der Türkei fast nicht.

Im regionalen Machtstreit zwischen Iran und Saudi-Arabien sieht die Türkei die iranische Rolle kritisch – gerade der große Einfluss in Syrien und im Irak ist Ankara ein Dorn im Auge. Allerdings geht es hier eher darum, dass das iranische Hegemonialstreben einen Knüppel zwischen die Beine türkischer Mittelmachtsträume wirft und nicht etwa darum, dass man an der Seite Riads stünde. Im Gegenteil, der Konflikt mit dem Königreich hat nach der Ermordung des Intellektuellen Khashuqji im saudischen Konsulat in Istanbul nochmal an Fahrt gewonnen. Der Versuch Riads und Abu Dhabis, die Türkei in der Region einzuhegen und sie für ihre Unterstützerrolle für Katar und die Muslimbruderschaft abzustrafen führt dazu, dass der Iran für Ankara fast schon der einfachere Partner ist.

Das Problem mit Syrien

Die türkische Regierung, durch das Astana-Format von den Russen in einen permanenten Dialog mit Teheran eingebunden, hat sich daher in den letzten Jahren immer wieder um Entspannungsgesten gegenüber dem Iran bemüht. Ein Dialog, der zumindest teilweise auf fruchtbaren Boden fällt. Erst kürzlich gab man etwa bekannt, eine neue Zuglinie von Ankara nach Teheran zu eröffnen. Doch weder bei der Erhöhung des Handelsvolumens, noch bei vieler der für Ankara entscheidenden Fragen kommt man weiter. Mehrfach schon kündigte die türkische Regierung etwa ein stärker mit dem Iran koordiniertes Vorgehen gegen die kurdischen Separatisten der PKK an. Der Iran dementierte solche gemeinsamen Militäraktionen in der türkisch-iranischen Grenzregion gegen den Ableger der PKK, die PJAK, meist umgehend.

Auch im Syrienkonflikt, wo die Türkei sich inzwischen als Hauptziel die Einhegung der kurdischen Unabhängigkeit gesetzt hat, will der Iran nicht so recht mitziehen. Zwar missfällt beiden Ländern der US-amerikanische Plan, die kurdischen YPG/J-Truppen zu einem dauerhaften Puffer aufzurüsten, der in amerikanischer Lesart vor allem die iranische Hegemonie begrenzen soll. Aber anstelle der Kurden iranischen Milizen oder aber dem Assad-Regime das Gebiet in Nordsyrien zu überlassen, geht Ankara zu weit. So unangenehm die kurdische Präsenz auch ist, hat man via Washington auf die YPG/J -im Gegensatz zum Iran oder dem syrischen Regime- zumindest gewisse Einwirkungsmöglichkeiten. Und einer YPG/J könnte man zur Not militärisch beikommen, mit dem Iran oder dem syrischen Regime jedoch möchte man sich lieber nicht in eine Auseinandersetzung verwickeln.

Die USA als gemeinsames Feindbild

Der US-amerikanische Rückzug aus dem JCPOA im Mai 2018 stieß auf außerordentlich negative Reaktionen. Unter dem Eindruck der eigenen Auseinandersetzungen mit Washington, war der Ausstieg aus türkischer Sicht nur ein weiterer Versuch der Amerikaner, es den saudischen Vasallen recht zu machen. Als die US-Administration die Türkei kurz darauf ebenfalls mit Strafzöllen belegte, war die türkische Führung und die regierungsnahe Presse geradezu begeistert vom Vorschlag des deutschen Außenministers, ein System zu schaffen, das die amerikanischen Sanktionen umgehen könnte. In der türkischen Vision der Dinge sollte dies nicht nur für den Iran gelten, sondern hätte darauf gezielt, den wirtschaftspolitischen Einfluss der USA, und vor allem des US-Dollars als Leitwährung, weltweit zu beschneiden.

Hintergrund dieser Forderungen waren nicht nur die amerikanischen Strafzölle für türkischen Stahl, sondern auch die Angst, dass das amerikanische Finanzministerium auch gegen die Türkei Sanktionen verhängen könnte. Denn im November 2017 hatte man in New York den iranisch-türkischen Goldhändler Reza Zarrab vor Gericht gestellt. Die US-Justiz warf ihm vor, mithilfe dubioser Goldgeschäfte über eine staatliche türkische Bank die Iran-Sanktionen unterlaufen zu haben. Laut Zarrab geschah dies mit Billigung und finanzieller Beteiligung türkischer Minister und des damaligen Premierministers Erdoǧan. Bis heute sind diese Sanktionen, selbst zur Verwunderung türkischer Offizieller, nicht vollstreckt worden.

Konfliktposition noch nicht final geklärt

Für die Türkei ergeben sich aus der Eskalation am Golf handfeste Nachteile – insofern scheint eigentlich klar, auf wessen Seite man steht: Die politische Rhetorik weist der amerikanischen Regierung die Hauptschuld zu. Nur, während man sich in Ankara weiterhin um gute Beziehungen zu dem Nachbarn bemüht und möglichst nicht in die Streitigkeiten mithineingezogen werden möchte, spekuliert man gleichzeitig auf eigene Vorteile.

Der türkischen Regierung ist es zum Beispiel recht, wenn der amerikanische Druck dazu beitragen sollte, die iranisch-kontrollierten Haschd-Millizen im Irak zurückzudrängen, die aus Sicht Ankaras die religiösen Spannungen im Nachbarland anfeuern. Auch hofft man, dass die Lücke, die der geschwächte iranische Handel vielleicht im Irak hinterlässt, durch türkische Unternehmen gefüllt werden könnte.

Das bedeutet, dass zunehmender Druck auf den Iran für die Türkei gleichzeitig vorteilhaft an einigen Fronten ist, während er ihr an anderer Stelle handfeste Nachteile beschert. Einer Destabilisierung des Irans sehen die Türken mit Schrecken entgegen und dies nicht nur wegen der zu erwartenden Fluchtbewegungen in die Türkei, sondern auch aufgrund der weitreichenden Folgen für die regionale Machtarithmetik. Ohne die Türkei wird für Washington aber eine Einhegung des Irans kompliziert.

Was für eine Richtung Ankara am Ende wählen wird, hängt sehr viel stärker davon ab, wie sich das angeschlagene Verhältnis mit den USA insgesamt weiterentwickelt. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass auch die Trump-Regierung kein Interesse an einem wirklich militärischen Konflikt mit dem Iran hat und weiterhin eher auf Nadelstiche setzt, wie eben die Beschlagnahmung der Adrian Darya 1. Der Tanker scheint weiterhin einen Hafen zu suchen, hat aber mittlerweile seinen Transponder abgeschaltet – damit wird nicht mehr nachvollziehbar sein, wo er schlussendlich festmacht. Sein aktueller Verbleib ist unbekannt.